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 GROSSVÄTERCHENs KOST

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Markus
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GROSSVÄTERCHENs KOST Empty
BeitragThema: GROSSVÄTERCHENs KOST   GROSSVÄTERCHENs KOST EmptyDo Jan 10, 2008 12:42 pm

Zeit ist ein kostbares Gut. Vor allem Freizeit. Da kann keiner genug von haben. Und wenn doch, dann weiß niemand niemand (mehr), was er damit anstellen soll.

So ähnlich ging es Großväterchen immer, seitdem er in Rente war. Er hatte nicht den leisesten Schimmer, was er den ganzen Tag lang machen sollte. Deswegen musste eine Beschäftigung für ihn her. Dringenst!!

Natürlich gibt es die verschiedensten Möglichkeiten den Tag einfach mal eben so rumzubringen. Mit Alkohol zum Beispiel! Man kann problemlos schon in den frühen Morgenstunden damit beginnen, sich die Hucke vollzusaufen, bis Mittag sternhagelvoll sein und dann den ganzen Nachmittag in einem weltentrückten Delirium vor sich hindämmern. Alles kein Problem! Theoretisch wäre das ohne Weiteres möglich.

Praktisch gesehen nicht. Denn: Die Mama hatte da beim Großväterchen was dagegen. Deswegen nahm sie ihm auch irgendwann die Pulle aus den zitternden Händen. Höchstwahrscheinlich, weil der alte Mann inzwischen schon allen anderen Mitgliedern der Familie gehörig auf die Nerven ging. Es kam, wie es kommen musste. Weil der zahnlose, alte Tattergreis ab einem bestimmten Zeitpunkt im Haus unerträglich wurde, schickte Mama ihn tagsüber nach draußen. Hinaus, an die frische Luft. Hinaus, in die Fauna und Flora.

Und so begann es. Großväterchen entdeckte die Freuden eines ausgedehnten Spazierganges. Er war plötzlich wie verwandelt. Endlich hatte sein Leben wieder einen Sinn! Es gab ja im Wald so viele interessante Sachen zu sehen. Bäume zum Beispiel. Der zahnlose alte Tattergreis mutierte quasi über Nacht sich zum rüstigen Rentner, der alltäglich hoch motiviert in den großen, dunklen Wald marschierte und sich dort an Mutter Natur erfreute.

Und an dieser Stelle der Geschichte gibt es einen Moment, an dem alle glücklich und zufrieden waren. Eigentlich der absolut passendste Moment für ein Happy End. Allerdings war hier die Geschichte noch nicht zu Ende. Mitnichten! Denn hier nahm sie überhaupt erst so richtig ihren Anfang...

Also: Es wäre auch alles so schön und so gut gewesen, wenn es nicht irgendwann mal Komplikationen gegeben hätte... Und so kam es, wie es kommen musste, an jenem schicksalhaften Tag:

Großväterchen kam nach Hause. Er sagte: "Schaut' mal, was ich da gefunden habe!" In seinen Händen trug er ein kleines Körbchen. Und darin waren: Pilze! Der rüstige Rentner hatte also die Freuden der Schwammerlsuche für sich entdeckt. Das wäre ja eigentlich nicht so schlimm gewesen... Aber: Er kannte sich mit Pilzen leider überhaupt nicht aus. Welche jetzt gut sind. Und welche nicht. Welche genießbar sind. Und welche nicht. Und vor allem: Welche giftig sind! Und welche nicht...

Deswegen sagte er auch:

"Schwammerl! Die können wir gleich zum Abendessen machen!" Dieser Vorschlag stieß allerdings bei der Mama nicht gerade auf vorurteilsfreies Wohlwollen.

"Ähm ...", gab sie von sich. "Bist du dir sicher, dass man die überhaupt essen kann?"

"Was soll'n jetzt das heißen??", empörte sich der zahnlose, alte Tattergreis.

"Naja ...", kam es gedehnt von Mama zurück. Sie suchte nach den richtigen Worten und beäugte in der Zwischenzeit die Schwammerl im Körbchen. Maden erwiderten ihren Blick. "Könnte ja ein Giftpilz drunter sein..."

"Also, das ist doch wohl eine Frechheit!" Großväterchens wurde laut. Sein Puls begann, zu rasen. Das sollte eigentlich nicht sein. Es war schlecht für sein schwaches Herz. Aber sorgte trotzdem dafür. Oder vielleicht sogar gerade deswegen...

Jeder routinierte Altenpfleger, oder frustrierte Zivi, der seinen Ersatzdienst in einem Seniorenheim hatte ableisten müssen, würde in einer solchen Situation folgenden Ratschlag geben:

Ruhe bewahren. Lächeln. Nicken. "Jaja" sagen. Denn: Sonst regen sich die alten Leute nur auf und werden aggressiv. Kritik und wenn sie auch noch so freundlich und konstruktiv angebracht worden ist, wird sowieso nicht beachtet. Deswegen ist Diskutieren in so einem Fall vollkommen zwecklos. Dummerweise war die Mama kein routinierter Altenpfleger. Und auch kein frustrierter Zivi. Darum hat sie wohl auch keine Ruhe bewahrt. Hat nicht gelächelt. Genickt schon gar nicht. Und gesagt:

"NeeNee!" Und weil Großväterchen dann mit der Faust auf den Tisch gehauen hatte, auch noch: "Sag' mal, spinnst du?"

"WAS?", schrie Großväterchen daraufhin. "Dafür enterbe ich dich! Damit du es nur weißt!!" Und hier wurde es für die Mama ein klein wenig kompliziert. Denn nun hatte sich Großväterchen erst recht in den Dickkopf gesetzt, seine selbstgesuchten Schwammerl zu essen. Unter allen Umständen. Jedem Widerstand zum Trotz. "Und wenn keiner mitessen will, dann ess' ich sie eben alleine!!!"

"Und jetzt ...", kommandierte Großväterchen nach einer kurzen Verschnaufpause, in der er seine Herztropfen eingenommen hatte. "Mach' sie mir gefälligst zum Abendessen!" Er stieß das Körbchen zur Mama hin. Es fiel um und die Pilze kullerten heraus. Mama verschränkte die Arme und trat in den passiven Widerstand.

"Na, gut!", brüllte Großväterchen beleidigt. "Dann mach' ich sie mir selber!" Frei nach dem Motto: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss eben der Prophet zum Berg.

"Ich bin mir sicher, dass du das nicht machst", sagte Mama. Aber sie sah nicht so aus, als ob sie sicher sein würde.

Keine zehn Minuten später brodelte schon der Pilzrahm auf dem Herd. Großväterchen hatte ihn gekocht. Und dabei mit allen Mitteln Einmischungen von Seiten der Mama unterbunden. Die war inzwischen zu einem hysterischen Nervenbündel geworden.

"Jetzt zeig' ich dir mal, wie giftig meine Schwammerl sind!", schrie Großväterchen. Zorn hatte er in seiner Stimme. Grimmige Entschlossenheit im Blick. Und auch ein klein wenig Wahnsinn.

"Nein!", kreischte Mama. Verzweiflung hatte sie in ihrer Stimme. Nackte Angst im Blick. Aber: Zu spät. Großväterchen genehmigte sich in diesem Moment einen gehäuften Löffel voll vom Pilzrahm ... Schmatzen. Sabbern. Schlürfen. Triefen. Die Mama starrte ihn gebannt an. Die Luft blieb ihr weg. Großväterchen schluckte ...

Glücklicherweise war der Notarzt schnell genug da. Und nachdem Großväterchen im Krankenhaus den Magen ausgepumpt bekommen hatte, suchte er sich tags darauf eine andere Beschäftigung. Und: Über die Schwammerlsuche redete er seitdem glücklicherweise nicht mehr. Das Thema war abgehakt. Schwamm(erl) drüber!
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