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 Frostwind

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ChastityWolf
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ChastityWolf


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Frostwind Empty
BeitragThema: Frostwind   Frostwind EmptyFr Jun 13, 2008 12:53 am

Dort saß er. Wider allen Regeln hockte er regungslos auf einem Ast. Niemand hat ihn darum gebeten einfach hier zu sein. Keiner hatte ihn gerufen. Dort saß er nun und blickte mit seinen leeren Augen nieder auf die Erde. Was er wohl dachte - keiner wird es je erfahren. Doch eine Geschichte krächzte er übers Land. Eine kleine Geschichte. Viele lauschten ihr, doch kaum einer verstand sie.

In meinen Gedanken versunken saß ich unter einem Apfelbaum, der in voller Blüte stand. Sein Wohlgeruch stieg mir in die Nase, ich schloss die Augen. Bilder flackerten vor meinem inneren Auge auf. Tausend Träume spann ich, reiste an entlegene Orte. Ein leises Plätschern durchdrang die Stille.
Stille, so kostbar geworden in dieser hektischen Zeit.
Langsam und tief einatmend öffnete ich meine Augen. Verwundert erblickte ich im Dickicht des Grases einen schwarzen Vogel. Es überraschte mich, dass er nicht davon flog. Wir blickten uns an und er kam näher. Er setzte sich ebenbürtig neben mich und blickte mich an.
Leise sprach er: „Kannst du fühlen, wie ein eisiger Frostwind durch die Äste der Welt bricht?“
Lange dachte ich darüber nach, doch eine Antwort oder ein schlichtes ja oder nein wollte nicht über meine Lippen kommen. Solch wahre Worte von einem Raben, dachte ich mir stattdessen. Warum bin ich nicht auf solch kluges Wort gekommen. Eine Wahrheit so simpel auf den Punkt gebracht.
Ich brauchte nicht neben mich zu schauen. Ich wusste, dass er noch neben mir saß. Warum, wusste ich nicht. Er war einfach nur da.
Langsam tauchte sich der Horizont in warme Farben. Der Wind wurde kühler und doch blieb ich sitzen, neben dem Raben, auf dem Horizont sehend. Ich fühlte mich auf eine seltsame Art geborgen, verstanden.
„Warum bist du hier?“, fragte ich mit ruhiger Stimme.
„Ich warte mit Dir auf das, was unumstößlich kommen wird. Auf meinem langen Weg hat niemand meine Worte erhört, noch verstanden. Nun warte ich hier mit dir. Der Anfang hat hier sein Ende.“
Nun wollte ich nicht mehr von seiner Seite weichen. Keiner hätte mich dazu bewegen können und doch beschlich mich Angst. Eine Angst die nicht mit Worten zu umschreiben war. Ich wusste was er mir mitteilen wollte und auch wieder nicht. Ein Zwiespalt machte sich in mir breit. Er klaffte in mir wie eine tiefe Wunde, die man erschrocken anstarrte. Die Angst sprach: Geh, fliehe solange du kannst! Doch mein Herz sang eine andere Melodie.
Der Wind wurde kälter und mit ihm die Welt. Sein Klagelied wurde lauter und die Sterne am Firnament wandelten sich in Tränen, bis einer nach dem anderen erlosch. Alles war in Bewegung, nur der Rabe und ich saßen still nebeneinander und schwiegen. Das silberne Mondlicht tanzte auf den Wogen des Wassers, die vom Wind angepeitscht wurden. Kein Tier vermochte auch nur einen Ton der Welt zu schenken, alle waren verstummt.
Die Welt schwieg mit uns und lauschte dem Gesang des Universums und der Erde. Es war ein trauriges Lied, das ich vernahm, und Tränen fanden ihren Weg.
Doch es waren nicht nur die meinen. Alles versank in Trauer. Man konnte es spüren und fühlen, es war zum Greifen nah.
Ich schloss meine Augen und lauschte weiter. Irgendwann überkam mich der Schlaf. Die Nacht deckte mich mit ihrem samtenen Mantel zu, hüllte mich in ihm ein.
Sonnenstrahlen, die mein Gesicht wärmten, ließen mich erwachen. Alles roch ganz anders. Die Luft schien wie gewaschen. .
Langsam erhob ich mich und schaute nach meinem Freund, doch sah ich ihn nicht. War dies alles nur ein Traum gewesen? Ich ging meinen Weg nach hause, doch alles schien sich verändert zu haben. Oder doch nicht? War die Veränderung in mir oder war die Welt nun anders? Ich konnte es mir nicht erklären.
Nach langem Spaziergang fiel mir dennoch etwas auf. Wo waren die Menschen? Kein Reden, keine Autos, alles war in Stille gehüllt. Was war geschehen? Ich kann es nicht sagen.

Und am anderen Ende der Zeit erhob sich ein Rabe um eine Geschichte weiter zu tragen, die von niemanden gehört noch verstanden werden kann, denn der eisige Frostwind, der durch die Äste der Welt brach, hatte alles mitgerissen.

©SylviaK. 12-06-08
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