Apokalypse

Hey, hey, hey. Nicht so schnell. Bleib stehen und hör mir zu, es sollte dich interessieren.

Mein Name ist Luzifer.

Ja, genau der. Der gefallene Engel, der aus dem Himmel Verbannte. Ach, ich habe viele Namen. Du kennst mich ja.

Du und alle anderen Menschen fürchten mich. Ihr fürchtete mich sogar, wenn ihr nicht einmal an Gott oder mich selbst glaubt. Denn ihr habt Angst vor dem Bösen an sich. Windet euch in der Nacht, wenn euch Alpträume jagen und kaut am Tag auf euren Fingernägeln, wenn sich das schlechte Gewissen ob vergangener Taten zu Wort meldet. Verdammt, ihr schlottert mit den Knien bei meinem Erscheinen, selbst wenn ihr mir schon lange dient.

Warum ich keine Hörner auf dem Kopf trage, keinen Pferdehuf habe?

Ach, lass mich doch mit diesem Theater in Frieden. Ich erscheine in vielen Maskeraden, aber denke daran: Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild. Und so sind auch wir Engel nicht anders anzusehen als ihr. Ihr Erdenkinder neigt dazu, das Böse mit Hässlichkeit zu entstellen, damit ihr nicht zugeben müsst, wie wunderschön ihr es zuweilen empfindet, Böses zu tun und schlecht zu sein.

Nur eine Sache habe ich niemals verstanden. Vielleicht kannst du es mir erklären. Weshalb ängstigt euch meine Anwesenheit so sehr? Ihr solltet euch besser vor euerer eigenen Art fürchten. Vor euch selbst.

Das 21. Jahrhundert hat begonnen. Zumindest nach der Zeitrechnung derer, die noch immer glauben, mich mit Gebeten besiegen zu können und derer, die dieses Zählen der Tage hinnehmen. Dabei bin ich viel älter als ihr glaubt. Es ist ein Jahrtausend, das euch die Sterne Untertan machen, das die kühnsten Träume wahr werden lassen sollte.

Und weiter? Was habt ihr denn bisher erreicht von all eueren edlen Wünschen, welche Träume ließt ihr Wirklichkeit werden?

Keine!

Liebst du das Leben und ehrst das Geschenk, das dir mit der Geburt übergeben wurde?

Nein!

Du erwartest den Weltuntergang jeden Tag. Tief in deinem Inneren spürst du, dass es bald soweit sein muss. Einige unter euch beten ihn regelrecht herbei, schön verpackt in ihrer geheuchelten Christlichkeit, die selbst den Sohn Gottes angewidert hätte. Im Schatten des Kreuzes hasst und verwüstet ihr schlimmer noch als ich das je hätte tun können.

Hast du je bemerkt, dass nur du, du und alle deine Mitmenschen das wirkliche Böse in der Welt gesät haben? Denk einmal darüber nach, mein Freund.

Gott hat die Welt verlassen, sagst du und spielst den Schwarzen Peter deinem Schöpfer zu. Es ist für dich leichter, mit verschränkten Armen zu schmollen, statt dich selbst für dein menschliches Unvermögen zu verdammen.

Nein, Gott hat diese Welt nicht verlassen. Du hast ihn getötet! So wie du es mit vielen anderen Götter getan hast. Immer und immer wieder.

Ich beherrsche die Erde?

Ha, mit Sicherheit nicht. Mir graut vor dir und deinem Menschenpack. Was soll ich mit euch denn anfangen? Ja, euere Seelen nehme ich mir, aber das Böse auf Erden bekommt ihr alle viel besser hin als ich es könnte.

Unschuldig bin ich nicht, das gebe ich gerne zu. Aber du hast mir erlaubt, meine Macht wirken zu lassen. Und mehr noch. Ihr habt diese Macht verstärkt, an euch gerissen und verbrennt euch nun gegenseitig damit. Ich kann mich zurücklehnen und die Show genießen.

Wahnsinn, Korruption, Gewalt, Kriege, Mord, Lüge ... all das sind eure Errungenschaften. Schön, ich gab euch den Samen, aber genommen und gesät habt ihr ihn allein. Und jede zarte Pflanze, die davon wuchs, habt ihr ghegt und gepflegt. Und nun fürchtet ihr euch vor der Ernte.

Einige von euch schlagen und missbrauchen die eigenen Kinder. Du tötest Menschen, die du nicht einmal kennst, wenn es dir jemand befiehlt, der glänzende Abzeichen an seiner Brust trägt. Du zerstörst deinen eigenen Lebensraum, vergiftest deine eigene Atmosphäre. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht verbrennst du die Welt und wunderst dich, dass sie zu Asche zerfällt.

Ich habe die Erde längst verlassen. Der Planet brodelt und wird erlöschen. Das hätte ich nie zugelassen, wenn du nur nicht die Macht an dich gerissen hättest.

Du benutzt meinen Namen für all das Leid. Zu solchen Grausamkeiten, wie ihr sie praktiziert, bin nicht einmal ich in der Lage.

Chaos und Ordnung bestehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Ein Gesetz, an das auch ich mich halten muss.

Ihr habt die Ordnung zerstört. Du hast das Chaos als Lebensinhalt gewählt.

Schau auf die guten Menschen?

Ha, der Mensch kann nicht gut sein. Der Mensch liebt die Zerstörung. Der Mensch IST das Chaos. Ihr seid Evolutionsfehler. Da lief etwas gewaltig schief als euch Gott erschuf und die Erde euch erfand.

Lass mich dir eines mit auf den Weg geben: Wenn ihr die Welt verlasst, werden keine Götter euch empfangen, keine Teufel erwarten eure Ankunft. Ich am allerwenigsten.

In meinen Augen seit ihr der Abschaum des Universums. Auch wenn es spaßig sein mag, euch bei der Jagd nach Schuldigen zuzusehen, bei der ihr nicht einmal merkt, dass ihr euch selbst jagd, wird mir regelmäßig übel in eurer Nähe zu verweilen. Euren Gestank des Selbstbetrugs einatmen zu müssen.

Die Apokalypse, auf die ihr ja so sehnsüchtig zu warten scheint, findet nicht an einem einzigen Tag statt. Sie ist allgegenwärtig seitdem du auf die Erde kamst.

Verfluchtes Menschengesindel!