Über den gesamten Küchentisch verteilte sich ein Schwall Hühnersuppe, der aus Norberts Mund geschossen kam. Einige Tropfen erwischten Sylke mitten im Gesicht, aber sie blieb regungslos. Es war nicht ratsam, ihn in diesem Zustand zu reizen. Norbert hatte einen harten Arbeitstag hinter sich, Ärger mit dem Chef und wieder einmal eine Flasche Bier zuviel. Nein, jetzt war wirklich nicht die beste Zeit, sich auf Diskussionen einzulassen.
"Die Suppe ist komplett versalzen", schrie er, das Gesicht rot vor Zorn. "Kannst du überhaupt noch was? Sitzt nur da und glotzt vor dich hin. Weißt du, was du bist, du ... du ..."
Er stand auf. Langsam. Sehr langsam. Seine Fäuste waren geballt, aber er würde sie nicht einsetzen. Noch nicht.
Gleich einer Raubkatze umrundete Norbert den Tisch, funkelte sie mit bösartigen Augen an. Seine Lippen hatte er fest zusammengepresst. Unzählige Flüche wollte er ausstoßen, seine Frau zur Schnecke machen. Da ging er Tag für Tag einem miesen Job nach und seine Sybille saß daheim, ließ einfach so die Zeit verstreichen und war zudem zu blöd, eine anständige Suppe zu kochen.
"Wir könnten ein schönes Leben haben, aber nein, die gnädige Frau muss mir ja immer einen Grund liefern, auszuflippen. Hast du schon mal daran gedacht, wie schwer ich es habe? Denkst du überhaupt noch was?"
Sein Mund berührte beinahe Sylkes Ohr als er ihr die Vorhaltungen entgegenschrie. Ihr Blick blieb starr, das Gesicht zeigte keine Regung. Wie gerne würde er ausholen und zuschlagen, zuschlagen, zuschlagen. Er tat es nicht. War zu gefährlich. Das hatte ihm schon bei der letzten Frau nur Schwierigkeiten eingebracht. Dabei hielt Norbert an der Überzeugung fest, dass es einem Mann zustehen sollte, sich auch einmal mit Nachdruck durchzusetzen.
"Ich verzichte ja schon auf alle Freunde, nur damit ich bei dir sein kann. Und wie wird es mir gedankt? WIE?"
Bald sollte seine Wut den Höhepunkt erreichen. Dann ging etwas zu Bruch und danach kehrte wieder Ruhe ein.
"Wenn ich dich nicht so lieben würde, wären wir längst geschiedene Leute", zischte er und fegte dabei zwei Tassen aus dem Regal, die mit lautem Klirren auf der Anrichte zerbrachen. Norbert schaute sich die Bruchstücke an, konnte darin sein eigenes Leben, einen Teil seiner Seele erkennen.
Es war nicht seine Schuld. Nur verstand das niemand.
Mit einer kurzen Handbewegung strich er sich über die Augen. Willkommene Dunkelheit verschluckte den brennenden Zorn in seinen Adern. Dann packte er Sylkes Schultern und massierte sie fest.
"Ich liebe dich, weißt du. Du musst etwas mehr auf mich und meine Bedürfnisse achten, sonst ticke ich eines Tages noch vollends aus. Du kennst mich doch."
Er beugte sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Wange.
"Komm, wir gehen ins Bett, ich bin müde. Und morgen wird bestimmt alles besser werden."
Norbert klemmte sich die Schaufensterpuppe unter den Arm und verschwand mit ihr im Schlafzimmer. Außer ihr konnte es niemand mit ihm aushalten. Nur sie, Sylke, die Liebe seines Lebens mit ihrer Plastikhaut, wusste ihn zu ertragen. Alle anderen hatten sich von ihm abgewandt.
So würde es bis zum Ende bleiben.