Anzahl der Beiträge : 228 Alter : 54 Ort : Dietlas/Thüringen Anmeldedatum : 18.11.07
Thema: Hinterbank, rechte Seite Do Jan 03, 2008 2:12 pm
Lautes Kindergeschrei riß Randolph aus seinen Tagträumen. Er haßte diese kleinen Bälger, die sich jeden Morgen um die Plätze im Bus zankten, als sei das der Sinn des Lebens. Sie kreischten und zappelten. Rempelten einander an und quetschten sich wild auf die Hinterbank, die eigentlich zu Randolphs wenigen Heiligtümern gehörte. Er saß immer dort. Ganz hinten, auf der rechten Seite, um die Leute auf der Straße beobachten zu können, wie sie durch die Gegend hetzten, ihren unwichtigen Tätigkeiten nachgingen. Für ihn war alles, was der Mensch tagein, tagaus unternahm, sinnlos. Sie bauten sich selbst eine Welt voller Träume und merkten nicht, wie albern alles war. Sie fühlten sich unentbehrlich, von Gott gesegnet und erhaben. Irgendwann würden sie in ihren Gräbern liegen, still vor sich hinfaulen und niemand würde sich mehr um sie kümmern. Die Welt war schlecht, die Menschen eine Plage und kleine Schulkinder Ausgeburten der finstersten Hölle. Schutz suchend preßte sich Randy an die Fensterscheibe, um den ewigen kleinen Kämpfen zu entgegen. Zweimal wurde er von der kleinen Ratte, die sich den Platz neben ihm auf unfaire Weise beschafft hatte, in die Rippen gestoßen. Jedesmal hatte er das Gefühl, gleich explodieren zu müssen. Natürlich tat er es nicht. Er sagte nicht einmal etwas zu dem Rabauken. Vielmehr malte er sich aus, wie das Kind eines gewaltsamen Todes starb, wie es unter die Räder des Busses geriet und zermalmt wurde oder wie sich der Kleine mit dem Arm in der Tür verfing, die ihm seine Knochen brach. Als der Junge zu ihm aufschaute, wurde dieser von einem heftigen Lachanfall geschüttelt und er bedeutete seinen Bodyguards oder was immer die Mini-Teufel darstellen sollten, sich ebenfalls Randy zu betrachten. Sie gehorchten aufs Wort und stimmten in das Gelächter ihres vermeintlichen Anführers ein. Randolph konnte sich nicht daran erinnern einen Tag erlebt zu haben, an dem die Welt nicht mit dem Finger auf ihn gezeigt und sich über ihn lustig gemacht hätte. Er war eine Witzfigur für diese Bastarde, ein Inbegriff grotesker Launen der Natur. Seine Gestalt glich der eines ausgemergelten Buchhalters. Die Brille auf der krummen, riesigen Nase verwandelte seine Augen in tennisballgroße Scherzartikel. Der Mund war schmal und auf der einen Seite schief. Übergroße Schneidezähne erlaubten es den Lippen nicht, die Schmach zu verbergen. Sein Haar war streng nach hinten gekämmt, mit Mittelscheitel und viel Pomade. Es wirkte schmierig, beinahe schleimig. Und dann Randys Kleidung. Eine Mischung aus englischem Gentleman und Pausenclown. Weit geschnittene, viel zu kurze Hosen zeigten geringelte Socken. Seine Füße waren, an der Körpergröße gemessen, viel zu groß. Er selbst maß einen Meter und fünfundsiebzig, benötigte aber Schuhe der Größe fünfundvierzig. Das weiße, spießige Hemd, die braune Tweed-Jacke und die rote, ausgebleichte Fliege machten Randolph zum Gespött für die ganze Welt. Aber seine Mutter bestand darauf. Mutter bestand immer auf alles, was ihm seelischen Schaden zufügte. Sie kontrollierte ihn, ließ ihm nicht die kleinste Freiheit und behandelte ihn wie ein Baby. Er war seit siebzehn Jahren der Gefangene einer gnadenlosen Aufseherin, die ihm ständig einredete, er sei einfach nicht dazu geschaffen, etwas Besonderes zu sein. Sie hatte ihn in die Kirche gehetzt, wenn die anderen Kinder in seinem Alter auf dem Spielplatz getobt hatten. Für sie war Gott überall und er konnte alles sehen, was Randolph trieb. Und Gott hatte ihn gestraft - weswegen auch immer. Mutter trichterte ihm ständig ein, Scham zu empfinden. Schuldgefühle für etwas, von dem er nicht wußte, daß er es jemals getan hatte. In ihrer eigenen kleinen Welt gehörte Randolph zu den Geschöpfen, die nicht hätten auf die Erde kommen dürfen. Er gehörte zu den Außenseitern, zu den unwürdigen Kreaturen, die des Herrn schöne und wundersame Schöpfung auf das Empfindlichste störten. Also hatte er gefälligst zu leiden und zu bereuen, daß er am Leben war. Randy beugte sich dem Willen der Tyrannin, unter deren Dach er gnädiger Weise wohnen durfte. Was sollte er auch sonst tun? Wer würde ihn aufnehmen? Wie könnte er je auf eigenen Beinen stehen? Er wußte nicht, wie man einen Haushalt führte, hatte keine Ahnung von behördlichen Pflichten und außerdem liebte er seine Mutter - trotz allem, was sie ihm jeden Tag, jede Stunde antat. Ein anderes Leben kannte er nicht und somit war er mit diesem Dasein zufrieden. Durch die dunklen Wolken, die seinen Geist umhüllten und ihn an Mutters verräterische Fürsorge erinnerten, drang die Stimme des kleinen Bengels, der neben ihm saß. “Du bist doch schwul oder du bist ein Vollidiot.” “Ein schwuler Vollidiot”, warf einer der Mitläufer ein und alle lachten. Alle. Selbst die älteren Fahrgäste. Der alte Mann mit der Zeitung. Die junge Frau mit dem Baby auf dem Arm. Das wunderhübsche blonde Mädchen, das ungefähr in seinem Alter sein mochte und dessen Beine er beim Einsteigen begutachtete hatte. Ihre Brüste wippten auf und ab, während sich ihr honigsüßer Mund zu einer Dämonenfratze verzerrte. Sie alle machten sich über ihn lustig, behandelten ihn wie eine Art Fleisch gewordene Comicfigur. Abstrakt, grotesk - zum Schreien komisch. Der Bus schien unter dem lauten Lachen ins Wanken zu geraten, drohte zu kippen. Randolph fühlte sich gar nicht gut. Sein Magen rebellierte und das Frühstück bahnte sich unaufhaltsam einen Weg nach oben, um den Schlund, durch den es am Morgen geschoben worden war, wieder verlassen zu können. Dann geschah das, wovor Randy sich Zeit seines Lebens am meisten gefürchtet hatte. Ohne Vorwarnung und unglaublich schnell leerte sich seine Blase und er konnte nichts dagegen tun. Zwischen seinen Beinen bildete sich ein dunkler, warmer und feuchter Fleck. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Mit weit geöffneten Augen schaute er nach unten auf die Schande, die symbolisch für seine ganzen siebzehn Jahre auf dieser Welt stand. Zuerst herrschte absolute Stille im Bus. Jeder Fahrgast betrachtete den Jungen schockiert und voller Ekel. Randy wäre am liebsten im Boden versunken. Er schämte sich. Mit geschlossenen Augen wünschte er sich immer und immer wieder, daß dies lediglich ein schrecklicher Traum war. Doch sobald er die Augen wieder geöffnet hatte, mußte Randy feststellen, die Realität selbst war so grausam zu ihm und nicht eine schreckliche Phantasie aus den Abgründen seiner gequälten Seele. Neben ihm sprang der Kleine von seinem Sitz auf und schrie: “ER HAT MICH ANGEPISST! DIE SAU HAT MICH VOLL ANGEPISST!” Ruckartig kam der Bus zum Stehen und der Fahrer, aufgeschreckt von der Unruhe in seinem Gefährt, stapfte wütend durch den Gang. “Was ist denn hier los”, schrie er in den Raum. Jeder sollte es hören. Vielleicht meldete sich der Unruhestifter ja freiwillig. Als er zur Rückbank kam, erblickte er Randy, der mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern auf die Lache blickte, die sich zu seinen Füßen gebildet hatte und beständig anwuchs. Der Fahrer wurde rot, seine strengen Züge verwandelten sich in ein Antlitz voller Wut. “DU SAU! SIEH MAL, WAS DU MIT MEINEN POLSTERN GEMACHT HAST. RAUS! RAUS!” Trotz der brüllenden Stimme, die ihn ermahnte, auf dem schnellsten Weg das Weite zu suchen, konnte Randy nicht mal einen Finger bewegen. Seine Blase entleerte sich noch immer und er schaffte es nicht, sie zum Stillstand zu bringen. Es war, als habe er seit Jahren nicht mehr gepinkelt und müsse nun, genau zu dieser Zeit, an diesem Ort, alles nachholen. Sein Urin bildete einen kleinen Bach, der sich auf den Weg zu den Schuhen des Busfahrers machte. Dieser bemerkte nichts davon. Er war ganz und gar auf den jämmerlichen Feigling fixiert, der ihm seinen Bus dreckig gemacht hatte. Als die gelbliche Flüssigkeit das Leder erreichte und sich auch darunter ausbreitete, dauerte es nicht mehr lange, bis das Mädchen in den schwarzen Hot Pants rief: “Da, es brennt, es brennt.” Tatsächlich. Unter den Sohlen des Fahrers stieg Qualm auf. Er schaute verdutzt zu Boden, dann schrie er und sie alle sahen, wie in Windeseile erst das Schuhwert, dann die Füße selbst aufgelöst wurden. Als stünde er in Säure und nicht in Pisse. Er schrie lauter, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Seine Hände und sein Gesicht wurden begierig von dem stinkenden Saft aufgesogen. Mit letzter Kraft versuchte der Fahrer, sie abzustützen. Die Haut an Wangen und Nase zerfloß zu einem schleimig roten Brei und die ätzende Substanz fraß sich weiter in ihn hinein. Fleischfetzen lösten sich, fielen zu Boden. Blut floß aus immer größer werdenden Wunden. Aus dem anfänglichen Schreien wurde ein ersticktes Jammern. Die Kraft verließ ihn und obwohl ihm sein Verstand gebot, nicht aufzugeben, konnte sich der Fahrer nicht mehr halten. Mit lautem Klatschen fiel er in die Lache aus Blut, breiigem Fleisch und dampfendem Urin. Sein Kopf vermischte sich mit der gefährlichen Substanz und bald blieb nur mehr der blanke Schädel zurück. Nun begriffen die anderen Fahrgäste, daß sie in höchster Gefahr schwebten, daß ihr Leben ein unrühmliches Ende finden würde, wenn sie nicht auf der Stelle die Flucht ergriffen. Panik brach aus. Sie stürzten zu den Türen, die jedoch fest verschlossen blieben, hämmerten und traten dagegen. Alle Vernunft war aus ihren Köpfen gewichen und hatte dem puren Überlebensinstinkt Platz geschaffen, der das rationale Denken ausschaltete. Randolph konnte selbst kaum glauben, was da geschah. Ihm schien die Flüssigkeit, die aus seiner Blase strömte und die den Tod brachte, nichts anhaben zu können. Allein seine Kleidung litt ein wenig darunter. Der ehemals dunkle, feuchte Fleck hatte sich in ein beträchtliches Loch verwandelt und immer noch schoß der Urin aus ihm heraus. Nun hatten sie Angst vor ihm, er verfügte über die göttliche Macht, das Leben nach seinem Belieben zu beenden oder zu bewahren. Langsam erhob er sich, zeigte ein teuflischstes Grinsen und ging auf die tobende Gruppe zu. Sie sahen ihn und begannen lauter zu Kreischen als zuvor. Gleich einem Revolverhelden nahm er sein Glied in die Hand und verschoß sein schreckliches Gift in die Menge. Körper stoben auseinander, warfen sich über die Rücklehnen der Sitze, um der Attacke entgehen zu können. Ein Strahl traf das Mädchen mit den Hot-Pants am Bein. Sie schrie auf und sah, wie sich die Säure in ihre Haut fraß, eine klaffende Wunde von der Wade bis zum Knöchel hinterließ. Sie ging in die Knie, umklammerte die verletzte Stelle mit beiden Händen und mußte feststellen, daß sich der Urin weiter ausbreitete. Ein sich rasch vermehrendes Wesen. Ihre Handflächen brannten wie Feuer. Sie löste den Griff. Die Haut ihrer Innenhände blieb an der verätzten Stelle am Bein kleben. Ein weiterer Strahl streifte ihren Bauch. Geschwind und hungrig drang die Säure in ihre Eingeweide. Ihr Mund füllte sich mit Blut und das Letzte, was sie in ihrem Leben sehen sollte, waren ihre Gedärme, die durch die Spalte in ihrem Bauch ins Freie drängten. Der kleine Bastard, der sich über Randy lustig gemacht hatte, wich vor dem Amok laufenden Urin-Schützen zurück. Voller Genuß beobachtete Randolph, wie sich nun auf der Hose des Jungen ein dunkler Fleck bildete. Die nächste Ladung galt diesem kleinen Affen. Er bedeckte ihn vollständig mit der nicht enden wollenden Flut und beobachtete befriedigt, wie sich der Leib in dem Brei, der nun den gesamten Boden des Busses bedeckte, verlor; wie der kleine Scheißer mit der Masse eins wurde. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Randy stark, unbesiegbar. Er erledigte seine Arbeit und erst als er den letzten Fahrgast mit seiner Säure aufgelöst hatte, war seine Blase geleert. Zufrieden ging er zum Fahrersitz und betätigte den Knopf, der die Türen öffnete. Die schleimige Substanz, in der sich mehr als zehn Menschen vermischten, begann bereits zu trocknen. Und es stank. Es stank fürchterlich. Draußen kamen die ersten Leute auf das Gefährt zugeströmt, um zu sehen, warum der Bus hier stand. Weit und breit gab es keine Haltestelle. Randy ging auf die Straße hinaus und eilte in die entgegengesetzte Richtung. Wenn er zu Hause ankam, würde seine Mutter sicherlich mit ihm schimpfen. Seine Hose war kaputt und auch die Schuhe glichen mehr der Fußbedeckung eines Pennbruders. Aber das war ihm egal. Wenn sie ihm zu sehr zusetzte, würde er einfach wieder pinkeln. So leicht war das.