H E U T E:
Wofür wir überhaupt einen Gott brauchen ...
Wieder einmal war es Abend geworden. Der gestresste Papa saß bei seinem Sohn, dem kleinen Rüdiger, auf der Bettkante und hatte ein Märchenbuch aufgeschlagen. Rüdiger lauschte seinen Worten andächtig. Kinder mögen es nun mal, wenn man ihnen Geschichten vorliest. Außerdem kann man sie damit leichter dazu bringen, endlich ins Bett zu gehen.
"Und dann heiratete er den Prinzen...", las Papa genervt vor "...wurde König und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch." An dieser Stelle angekommen atmete er gut hörbar auf und verkündete erleichtert das "Ende".
Dann klappte er das Buch zu. Sein Sohnemann klatschte.
"Das war ein schönes Märchen, Papa!", ließ er ihn wissen.
Der Vater zog dem Sohn die Bettdecke bis knapp unters Kinn, drückte ihm den Teddybären in die Hand und murmelte ein geistesabwesendes "Ja ja!". Für ihn war die Sache damit für heute erledigt. Er hatte seine Pflichten als Vater getan. Nun sollte das Kind Ruhe geben und schlafen. Tat es aber nicht!
"Aber eines hab' ich da nicht so richtig verstanden...", meldete sich der Sprössling zu Wort. Papa, der gerade das Kinderzimmer verlassen wollte, hielt inne.
"Was?"
"Die Sache mit Gott."
Papa überlegte. Soweit er sich erinnern konnte, gab es in dem Märchen, das er vorgelesen hatte, keine "Sache mit Gott". Aber so war sein Sohn nun mal.
Machte sich immer die seltsamsten Gedanken. Das ist typisch für Kinder in seinem Alter. Normalerweise sollte man sich daran nicht stören.
Problematisch wird es nur, wenn sie lästige Fragen stellen, die nicht so einfach beantwortet werden können. Denn dann ist es ohne Weiteres möglich, dass man sich als Elternteil blamiert. Und das ist das Schlimmste, was passieren kann. Wenn man als Vater keine guten Antworten parat hat, besteht die Gefahr, dass das Kind den Respekt verliert. Und das darf nicht sein!
Schließlich ist man eine Autoritätsperson - Oder sollte es zumindest sein...
"Was gibt's da nicht zu verstehen?"
"Na ja, ich meine, ... Wofür brauchen wir überhaupt einen Gott?"
Papa denkt nach. Was für eine Frage! Nach einer Weile verkündet er unsicher:
"Tja, ich schätze mal, dass der Papst nicht arbeitslos ist. Sonst könnte die ganze katholische Kirche nämlich ihren Laden dichtmachen!" Das war doch eine gute Antwort! Papa war mit sich selbst zufrieden. Leider befriedigte die Antwort den Filius in keinster Weise.
"Papa?", hakte er nochmal nach, was ein genervtes "Mhm?" von seinem Erzeuger zur Folge hatte, der mit seinen Gedanken inzwischen schon ganz woanders war.
"Das glaub' ich nicht!", wurde dann ernsthaft verkündet. "Das kann doch nicht Der Grund sein!!"
"Ja, von mir aus.", erwiderte ihm sein Vater. " Aber jetzt musst du schlafen und der Papa muss sich noch die zweite Halbzeit anschauen." Irgendwie hatte er mal wieder nicht richtig zugehört.
"Na, denn: Gute Nacht!" Papa drehte sich um, wollte den Raum verlassen. An der Tür stehend knipste er das Licht aus. Alles war schwarz. Alles war still. Zumindest für einen kurzen Augenblick. Doch dann ertönte plötzlich wieder ein zartes Stimmchen aus der Dunkelheit:
"Papa?" Der Vater schaltete das Licht wieder ein. Er stand im Türrahmen. Der kleine Rüdiger hatte sich im Bett aufgesetzt, seinen Teddybären hielt er im Arm.
"Wozu brauchen wir dann einen Gott?"
Papa überlegte angestrengt. Falten auf der Stirn. Ratlosigkeit im Blick. Er starrte betreten zu Boden.
Und genau an dieser Stelle war es wieder soweit. Papa musste wieder mal eines der großen Rätsel und ungelösten Mysterien des Universums erklären.
"Also,...", sprach Papa. "Das ist nicht so einfach..." Er gönnte sich an dieser Stelle eine bedeutungsschwere Pause. "Ähm,..." Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glatt annehmen, dass er nicht so genau wußte, was er sagen sollte.
"Weißt du es etwa nicht?" In die Stimme von Rüdiger mischte sich leiser Zweifel.
"Was soll jetzt das heißen?", erwiderte der Papa gereizt. "Klar weiß ich das!" Selbst, wenn er es nicht wüsste, was natürlich NICHT der Fall war, würde er es nie zugeben. Wo kämen wir denn da hin?
"Ich überlege nur, wie ich es erklären kann, damit du's auch verstehst! Ist nämlich nicht so einfach..."
"Dann fang doch an zu erklären! Worauf wartest denn noch, Papa?"
"Ich muss erst mal schnell Pullern gehen.", verkündete er. "Bin gleich wieder da!" Fluchtartig verließ der Vater das Kinderzimmer.
Während Rüdiger ungeduldig wartete, stand Papa am Telefon. In seiner Not hat er den Markus * angerufen. Markus war der Praktikant in der Fabrik. Er konnte alles, wußte alles, machte allerdings nichts und wenn doch, dann falsch. Er hatte Abitur, was wohl so ziemlich alles erklärt und ein angefangenes Studium der Philosophie. Die Praxis ist nicht so sein Ding, dafür aber die Theorie. In den Semesterferien verdiente er sich immer was dazu, weil es sonst mit den Studiengebühren nicht hingehauen hätte. Er war ein gebildeter Mensch, ein vernunftbegabtes Wesen, ein angehender Akademiker, ein radikaler Freidenker, ein tiefschürfender Philosoph, oder, wie es seine Arbeitskollegen ausgedrückt hätten, ein Besserwisser, Angeber und Klugscheißer. Hier ist zu erkennen, dass alles nur eine Frage des Blickwinkels ist.
"Ja... Hallo? Ich bin's! Du, ich hab' da eine Frage. Und ich dachte, du kannst mir da vielleicht helfen. Weil du doch sonst immer alles besser weißt! Also, pass auf... Wozu brauchen wir einen Gott?" Papa hörte gespannt zu, dann sagte er:
"Aha! Aber, warte mal... Ich schreib' mir das lieber auf." Papa machte sich Notizen, brach ab, betrachtet seine Kritzelei.
"So ein Schmarrn! Kannst es mir vielleicht auch so erklären, dass es ein Kleinkind versteht?"
Wenig später: Jetzt konnte es also losgehen! Papa erklärt die Welt!!
Diesmal: Wofür wir überhaupt einen Gott brauchen... Er saß wieder am Bett, beim kleinen Rüdiger. Er atmete tief durch. Denn, das, was er gleich sagen würde, war überaus wichtig und bedeutungsvoll.
"So! Jetzt sperr' mal schön deine Lauscher auf. Dann erklär ich dir das!"
"Ja?", fragte Rüdiger erwartungsfroh. Er konnte es vor Ungeduld kaum noch aushalten. Papa las vom Notizblock ab:
"Wir brauchen einen Gott, um damit den Ursprung der Moral erklären zu können!" Für einen Moment war es still.
"Ja, aber...", meldete sich Rüdiger zu Wort. "Wieso?"
"Das liegt daran, weil...", Papa spickte kurz auf seinen Notizblock. "Ähm!
Wenn die Menschen zusammen leben wollen, müssen sie nett zu einander sein.
Sonst geht das nicht." Rüdiger nickt verständnisvoll.
"Aber das ist nicht natürlich!", fährt der Papa fort. "Das liegt nicht in der Natur des Menschen! Omo Humi-Ni Lupi, oder so ähnlich!"
"Du meinst Homo Homini Lupus **!" Blankes Entsetzen in den Augen des Vaters.
"Ähm,... Ja, natürlich!", beeilt er sich zu sagen. "Und damit das trotzdem mit dem Zusammenleben klappt, müssen Regeln aufgestellt werden. Aber wenn das ein Mensch getan hätte, dann hätte ihm keiner geglaubt und sich keiner dran gehalten."
"Das verstehe ich gut.", pflichtete ihm der kleine Rüdiger bei. "So ist es nun mal..."
"Auf jeden Fall hat der, der sich die ersten Anstandsregeln ausgedacht hat, sich auf Gott berufen."
"Du meinst Moses mit seinen zehn Geboten?"
"Lässt du mich ausreden? Das ist doch egal, wer es gewesen ist. Darum geht's hier doch gar nicht!!"
Der kleine Rüdiger dachte nach, nickte dann:
"Die Regeln mussten von jemand aufgestellt werden, der nicht greifbar ist.
Jemand, an den man glauben kann,... oder muss!"
"Na siehst du!", Papa ist erleichtert. "Weil der Mensch eben kein,...
Ähm,... Warte mal! Kein Zoon Politikon*** ist, lebt er trotzdem mit anderen zusammen. Muss er auch. Anders geht das nicht. Dafür braucht es einen Grund.
Und den gibt es in der Tatsache, dass Gott eben gebraucht wird! Und deswegen... brauchen wir einen Gott."
"Also wird Moral und Ethik auf Ihn zurückgeführt?"
"So in etwa...", erwiderte Papa unsicher.
"Aber dafür brauchen wir doch keinen Gott! Das kann doch auch mit Vernunft und gesundem Menschenverstand gerechtfertigt werden!"
"Nee! Wirklich?"
"Ja. Denk' doch an den Kategorischen Imperativ!"
Papa runzelte die Stirn. Langsam wurde es lästig. Woher hatte das Kind nur solche Begriffe? Von ihm sicherlich nicht. Da war er sich sicher.
"Was willst jetzt damit sagen?"
"Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann****!" Papa sah seinen Sohn mit großen Augen an.
"Hä??"
"Was du nicht willst, was man dir tu', das füg auch keinem anderen zu!" Papa dachte nach. Es klang so einfach und zugleich auch so vernünftig.
"Tja, von der Seite gesehen, brauchen wir dann wohl keinen Gott für die Moral."
"Warum haben wir dann einen?"
"Tja, ich schätze mal, dass der Papst nicht arbeitslos ist..."
"Das glaub' ich nicht!" Papa stand auf:
"Es ist einfach so, wie es ist!" Das stellte den kleine Rüdiger aber immer noch nicht zufrieden. Darum fragte er nochmal nach.
"Ja, aber... Warum?" An dieser Stelle riß dem Papa der Geduldsfaden. Er verlor die Fassung.
"JETZT HÖR' ENDLICH MIT DEINER BLÖDEN FRAGEREI AUF!", schrie er. "ICH HAB' KEINE AHNUNG, WARUM DAS SO IST! DAS IST HALT EINFACH SO!! BASTA!!! UND DU MUSST JETZT SCHLAFEN!!!! UND WENN DU NICHT GLEICH STILL BIST, HAU' ICH DIR EINE REIN!!!!!"
Der kleine Rüdiger fuhr erschrocken zurück. Er zog den Kopf unter die Bettdecke.
"Hast mich verstanden?", bellte der Vater. Das Kind nickte eingeschüchtert.
Damit dürften dann alle Klarheiten beseitigt sein. Aber was noch viel wichtiger war: Papa hatte seine Autorität wieder hergestellt. Er stand auf und verließ das Zimmer. Für ihn war die Sache damit für heute erledigt. Er hatte seine Pflichten als Vater getan. Nun sollte das Kind Ruhe geben und schlafen.
"Gute Nacht. Träum' was Schönes.", brummte er halbherzig. Dann schaltete er das Lich aus. Die Tür fiel knarrend ins Schloß. Papas Schritte waren gedämpft zu hören, wurden immer leiser. Rüdiger begann, unter der Decke, zu wimmern und zu schluchzen.
ENDE?
Nein!
FORTSETZUNG FOLGT...
Versäumen Sie darum auch nicht die nächste Episode, wenn es wieder heißt:
PAPA ERKLÄRT DIE WELT!
* Ursprünglich sollte diese Figur Jürgen heißen, benannt nach einem guten Kumpel von mir. Aber der fand das nicht so witzig. Darum dachte ich, bevor noch einer meiner Freunde verärgert wird, beweisen wir Sinn für Ironie und stellen einfach den eigenen Namen zur Verfügung. Anmerkung des Verfassers.
** Ein gewisser Thomas Hobbes hat diesen Spruch von einem Kerl namens Plautus geklaut und wollte damit ausdrücken, dass die Menschen alle gemein und böse sind, oder so ähnlich.
*** Damit wollte ein gewisser Aristoteles sagen, dass der Mensch ein geselliges Wesen hat, oder ist und gern mit anderen zusammenlebt...
**** Nach einem gewissen Imanuel Kant, der die dumme Angewohnheit hatte, seine höchst interessanten Theorien in wahnsinnig komplizierte und viel zu lange Sätze zu verpacken.
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