Programmcode meines Lebens

Es ist wieder mal soweit…

Ich stehe, wie so oft, vor der Frage, worum es im Leben geht.
Ich bin erst zwanzig, da mögen natürlich viele sagen: „Du hast doch noch gar nicht richtig mit dem Leben angefangen…“…

Genau das ist es, was mich ungemein verunsichert, denn wenn ich die letzten 20 Jahre, soweit es mir noch möglich ist, zurückspule, kommt mir da stets ein Vergleich in den Sinn…

Und zwar vergleiche ich mein bisheriges Leben mit – ja, ihr dürft lachen – einer Demoversion zu einer Spielesoftware. Der Vergleich liegt nahe, denn die bisherigen zwanzig Jahre hatten neben dem Eskapismus in die virtuelle Welt nicht sehr viele „Checkpoints“ und hielten mich offenbar mit einer „Probierversion“ hin, bis die „Vollversion“ meines Lebens endlich fertiggestellt und veröffentlicht ist.

Nun frage ich mich doch wohl zurecht, ob denn diese Vollversion überhaupt jemals fertig programmiert werden kann, denn wenn ich mit dem Programmieren meines gewollten Lebens aufhöre, dann müsste dieses doch logischerweise bereits „durchgespielt“ sein…

Also komme ich zum Schluss, dass ich doch auf jeden Fall bereits mittendrin stecke…

Doch wie es bei jungen „Beta-Versionen“ nunmal so der Fall ist, strotzt das Spiel nur so vor störenden Bugs und Abstürzen, Bluescreens und seltsamen Fehlermeldungen…

Erst kürzlich nahm ich mir angesichts meiner immer mehr missfallenden Erzieher-Ausbildung vor, mein Leben mal gründlich zu debuggen und aufzumotzen. Umgehend brach ich dafür meine Ausbildung mit dem Ziel ab, „erwachsen“ zu werden und einen Job zu finden, um mir damit mein Fernabitur zu finanzieren.
Dazu muss ich erwähnen, dass ich mein bisheriges Leben immer nur „für den Tag“ gelebt habe, ich machte mir nie Gedanken über zukünftige Ereignisse und Wandlungen. Ich lebte für die Gegenwart und ohne Ziel, sozusagen in einer freien Welt – genau so fühlte ich mich anno „GTA – San Andreas“ nach dem 100%-Durchspielen – einfach nur noch Spaß haben, ohne dass mich neue Herausforderungen zu irgendetwas drängen würden…
Zielloses Umherziehen, tun und lassen, was ich will…

Das es so nicht weitergehen kann, wurde mir klar, als mich dieses Verhalten zufällig in einen für mich völlig ungeeigneten Beruf zwang, in die Ausbildung zum Erzieher. Ich bin ein Mensch, der nicht so gut auf seine Außenwelt zu sprechen ist und sich – auch der Außenwelt zuliebe – aus selbiger zurückzieht.

Nunja, davon abgesehen, dass mir nun wichtige Addons und Patches fehlen, die nur in der Außenwelt zu finden und gewinnen sind, läuft alles super…

Ich schreibe nun, da mich die viele Jobsuchen-Freizeit dazu zwingt, täglich mehrere Mails an mein inneres Support-Center, um mich danach zu erkundigen, ob meine Taten die richtigen waren, und auch, um mir meine offensichtlichen Fehler in ein weniger belastendes Format formatieren zu lassen.

Wie es aber nunmal mit diesen Support- und Servive-Providern so ist, bekam ich bisher natürlich keine Antwort, man verband mich jedoch gelegentlich mit dem sogenannten „Herz-Entscheidungs-Support“, der mich wieder und wieder mit dem typischen „Tu, was dein Herz dir sagt…“-Spam plagt…

Nunja, ich warte weiterhin auf eine Antwort.

Doch was, wenn diese Antwort das Ziel des ganzen Spieles ist? Ist dieses Ziel erreichbar? Wenn ja, wann werde ich es erreichen? Gibt es weitere Ziele? Lösungsbücher? Oder möglicherweise Cheats? Glitches?

Oftmals sagt man mir „Bug-Using“ sei nicht fair, feige und unehrenhaft, dann höre ich aber kurz darauf wieder „Lerne aus deinen Fehlern – nutze sie!“…

Gibt es also überhaupt „richtig“ oder „falsch“?
Kann ich ein „gutes“ und ein „schlechtes“, oder mehrere alternative Endings freischalten?
Was ist mit den Continues… Wie viele Leben habe ich?
Wie kann ich das Spiel resetten? Oder geht das nur als Buddhist?
Warum kann ich nicht speichern und alte Fortschritte laden?
Wie verhält es sich mit dem „Game Over“?

Warum weigert sich meine Hauptperson, wenn ich ihr sage sie solle etwas ändern?



Zu guter letzt… wie programmiert man etwas, wenn man den Programmcode für das Leben überhaupt nicht kennt?

Es handelt sich um eine Geschichte, die ich, wie man möglicherweise schon bemerken konnte, zu mir selber geschrieben habe...


Es folgt eine Liste mit Erklärungen zu Fachbegriffen, die ich verwendet habe:



Beta-Version - unfertige Software im "Testlauf"
Demoversion - "Probierversion" zu einer Software, Demonstration
Vollversion - die fertige Software

Eskapismus - Flucht vor Herausforderungen (in diesem Fall)

Checkpoints - im Videospiel: Speicherpunkte, Levelgrenzen

Bug - Fehler in der Software
Bug-Using - Ausnutzen von Programmfehlern zum Vorteil des Spielers
debuggen - Entfernen von Programmfehlern

Absturz - nichts geht mehr... die Hand bewegt sich zum Reset-Schalter...

Bluescreen - Blaues Bild mit weißer Fehlermeldung, bei Windows nicht selten...

GTA San Andreas - Gangsterspiel mit viel Freiraum ;-)

Addon - Erweiterung für eine Software

Patch - Verbesserung und "debugging" für eine Software

Support-Center - Stelle zur Kontaktaufnahme bei Problemfällen

Provider - Anbieter

Spam - ungewollte Werbemails und ähnliches

Cheats - Passwörter zur Erleichterung des Spieles

Glitches - Programmierfehler. die das Spiel erleichtern (wie zB durchgehbare Wände...)

reset - neustarten

Game Over - tja, irgendwann muss jeder gehen ^^



Euer Patrick

Gefällt mir =)

Schön wäre es, wenn ein Lösungsbuch im Lieferumfang mit inbegriffen wäre.