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 Blutrausch (Teil 2)

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CromCruach
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Blutrausch (Teil 2) Empty
BeitragThema: Blutrausch (Teil 2)   Blutrausch (Teil 2) EmptyDo Jan 03, 2008 2:16 pm

Mit seiner Arbeit mehr als zufrieden legte sich der Briefträger die richtigen Worte zurecht, die er der Polizei zu sagen hatte. Sie würden es verstehen. Diese Hure hatte ihren eigenen Mann umgebracht. Natürlich hatte er das zuvor nicht wissen können, sondern aus reiner Nothilfe gehandelt. Vielleicht hätte er den armen Kerl ja noch retten können. Solche Situationen konnte man unmöglich richtig einschätzen, wenn man vor einem verschlossenen Fenster stand und das Grauen einer Wilden in Aktion mitansehen mußte. Immerhin war Edward ein liebevoller, hart arbeitender Bürger gewesen, das genaue Gegenteil zu seiner faulen Frau. Die hatte es doch nur auf sein Geld abgesehen, damit sie eines Tages noch mehr ihrer verdreckten Verwandtschaft ins Land schaffen konnte. Soviel Gesindel verkrafteten die USA einfach nicht. Corey war Briefträger. Seine Ahnen waren Briefträger gewesen und hatten in Kriegen wichtige Botschaften befördert. In seinen Adern floß waschechtes Patriotenblut. Mit seiner Tat hatte er nicht nur eine Mörderin an Ort und Stelle bestraft, sondern gleichzeitig der gesamten Nation einen unschätzbaren Dienst erwiesen.
Auf dem Weg zur Vordertür malte sich Corey aus, wie wohl die Schlagzeilen in den morgigen Zeitungen aussehen würden:

Mutiger Briefträger rächt einen waschechten Amerikaner

oder, noch besser:

Corey, der Superbriefträger, der Schrecken aller mexikanischen Schlampen und Held der Vereinigten Staaten von Amerika! Präsident ehrt Briefträger!

Ja, von nun an war er kein einfacher Mann mehr, der sein Geld bei einer wichtigen, aber dennoch stupiden Arbeit verdienen mußte. Er konnte sich von heute an auf die gleiche Stufe amerikanischer Superhelden stellen, die man sonst nur in Comics fand. Was mochte ihn wohl alles erwarten? Fernsehshows, Bücher, vielleicht sogar ein Film über ihn und sein Einstehen für ein sauberes Amerika. Frauen, Reichtum, Wohlstand. Er konnte beinahe spüren, wie der Hauch des Ruhms ihn umgab. Man würde ihn in Geschichtsbüchern erwähnen, ihm ein Denkmal setzen. Wen kümmerte es denn, daß Superman nur ein Phantasieprodukt war, wenn es Corey gab?
Hocherhobenen Hauptes schritt Corey durch die Eingangstür. Sein letzter Gedanke galt der eigenen, strahlenden Persönlichkeit. Den Schuß, der ihn niederstreckte, hörte er nicht.
Eine Kugel durchschlug seine Halsschlagader und zerschmetterte auf dem Weg auch das Genick des Briefträgers, bevor sie den Körper verließ und irgendwo in der Hauswand stecken blieb. Bevor Corey überhaupt begreifen konnte, was da geschehen war, lag er tot auf der säuberlich geputzten Veranda.
“Du miefer Maffenmörder”, schrie der alte Ed und zielte noch immer mit seinem Gewehr auf den Leichnam. Am Ende stand der Drecksack nochmal auf. Es gab ja Leute, die waren einfach nicht umzubringen. Dieser seltsame Corey war Ed schon immer unheimlich gewesen. Der Blick, es war der Blick gewesen. Eiskalt und berechnend. Ständig eine Unachtsamkeit abwartend, die den Menschen, denen er die Post brachte, zum Verhängnis werden könnte.
Ed wußte es genau. Er wußte es seit dem ersten Tag, als die Post diesen Irren eingestellt hatte. Genau seit diesem verfluchten Tag war Ed vorsichtig gewesen. Mehr noch. Er hatte damals damit begonnen, Corey heimlich zu bespitzeln. Schließlich war ihm der perverse Mistkerl in die Falle gegangen, als sich dieser Corey in der Videothek zwei Filme gemietet hatte. Annie und Das Zauberhafte Land. Mit eigenen Augen hatte es der alte Ed gesehen. Der Briefträger sah sich in seiner Freizeit Filme mit kleinen Mädchen an. Kein erwachsener Mensch schaute sich Kinderfilme an, wenn er keine Kinder hatte. Nein, das war nicht normal. Ed war sich damals so sicher gewesen. Corey stand auf kleine Mädchen. Entsetzlich, widerlich. So einer mußte ja irgendwann durchdrehen und Menschen töten, es war vorprogrammiert.
Jetzt gab es einen Perversen weniger auf der Welt. Kein großer Verlust. Es hätte den alten Ed nicht gewundert, stammten Coreys Vorfahren aus Deutschland. Von dort kam ja der letzte Dreck. Ed mußte es wissen, immerhin war er gebürtiger Deutscher.
Wie erwartet, blieb die Knallerei in einer ruhigen Vorstadtstraße nicht unbemerkt. Türen öffneten sich, Menschen schimpften und stürmten durch ihre biederen Vorgärten auf den Gehsteig. Erst angetrieben von purer Neugierde, schließlich von morbider Sensationslust.
Auf der von Ed’s Haus aus gesehenen gegenüberliegenden Straßenseite sah Larry den toten Postboten auf der Veranda seines Nachbarn, und einige Meter entfernt davon den Alten, das Gewehr in der Hand. Er zählte eins und eins zusammen und kam zu dem einzig logischen Schluß: Der Nazi dort drüben war durchgedreht und schoß einfach auf Unschuldige. Nein, nicht unschuldig. Nicht für den alten Ed. In Eduard Fronheimers verklärtem Weltbild mußten doch alle Amerikaner eine Bedrohung darstellen. Immerhin hatten sie ja den Deutschen damals in den Arsch getreten. Für diese Tat sollte dieses alte Nazi-Schwein büßen.
Larry rannte ins Haus zurück und kam einige Augenblicke später mit einer kleinen Maschinenpistole zurück, die er einmal in New York auf der Straße erworben hatte. Die Waffen, die es in den Geschäften zu kaufen gab, taugten doch alle nichts. Wenn man Heim und Familie beschützen wollte, brauchte man verdammt noch Mal stärkeren Tobak. Mit seiner kleinen Kanone war Larry in der Lager eine ganze Rockerbande aufzuhalten.
Er hatte das Ding zwar nie benutzt, aber so wild konnte es ja nicht sein. Entsichern, Abzug durchziehen und los ging der Kleinkrieg.
Zu seinem Entsetzen mußte Larry feststellen, daß es gar nicht so einfach war, mit einer vollautomatischen Waffe genau ins Schwarze zu treffen. Er erwischte Ed zwar mit drei Bauchschüssen, aber dann machte sich das gottlose Scheißding einfach selbständig. Es war ihm unmöglich geworden, den Abzug loszulassen oder die Maschinenpistole in einer Richtung zu halten, in der keine menschlichen Zielscheiben standen.
Gleich einem mörderischen Bienenschwarm flogen die Kugeln in sämtliche Richtungen, durchschlugen Fensterscheiben, drangen in Körper ein. Die Leute kreischten, rannten kopflos durch die Gegend, wollten dem Bleihagel entkommen. Sie hatten keine Chance. Larry war dabei, sich auszutoben. Jetzt galt es, die Masse zu vernichten, die ihn vernichten und der Polizei ausliefern wollte. Ein kleiner Unfall konnte doch jedem passieren. Das war kein Grund, ihn bis zum Lebensende hinter Gitter bringen zu wollen.
Der taube Perry Jones tauchte seine tote Nase in den Teller mit dampfender Erbsensuppe, nachdem ein Geschoß, das durch sein Fenster eingedrungen war, seinen Schädel zertrümmert hatte.
Die alte Mrs. Michel schaute erstaunt auf die beiden riesigen Löcher in ihrer Brust, bevor auch sie ihren letzten Atemzug tat.
Mehr als zehn Menschen wurden verwundet oder erschossen und Larry schämte sich gewaltig. Das würde Ärger geben, ganz bestimmt.
Mit dieser Meinung sollte er Recht behalten, denn auch die anderen Bewohner des sauberen, ruhigen Vorortes, der jahrelang ohne das kleinste Verbrechen überlebt hatte, waren ebenso gut bestückt mit Waffen aller Art.
Nach nicht einmal zwei Minuten hallten Schüsse durch die gesamte Straße. Es glich einem Krieg. Männer schossen einfach drauf los, ohne zu wissen, um was es überhaupt ging. Frauen rächten ihre durch Kugeln getöteten Männer. Wer keine Schußwaffe besaß, ging mit sämtlichen Küchen- und Gartenwerkzeugen auf die anderen los.
Wer die kleinen Handgranaten ins Spiel brachte, wußte niemand zu sagen. Körper wurden zerrissen, Blut bedeckte die Wände der Häuser und den Asphalt. Die Hölle auf Erden.

Jeremy saß still vor seinem Radio und lauschte bedächtig der aufgeregten Stimme, die ihn zum Zittern brachte:

In Sunville ist heute der dritte Weltkrieg ausgebrochen. Niemand kann sich erklären, wie der Feind in diese Kleinstadt unbemerkt eindringen konnte. Tatsache bleibt, daß es sich scheinbar um Tausende von Doppelagenten von unbekannter Herkunft handelt, die sich seit Jahren unter uns bewegen, uns untergraben haben. Aus Sicherheitsgründen hat der Präsident sämtlichen Ländern den Krieg erklärt. Vertrauen Sie niemandem. Der Feind ist überall, vielleicht sogar in ihrer Familie.

Die Schüsse, die von der Straße her plötzlich zu hören waren, störten Jeremy nicht in seiner Konzentration. Er hatte schon seit einiger Zeit den Verdacht gehabt, daß sein Vater irgendwie seltsam war. Welcher Daddy brachte es denn über das Herz, seinem elfjährigen Kind Stubenarrest zu erteilen. Also war Vater auch einer von denen. Jeremy kramte unter der Matratze seines Bettes und brachte ein großes Armeemesser hervor. So eins, wie Rambo es in den Filmen benutzte. Ja, er würde für sein Land kämpfen, wie jeder gute Patriot, der sich in einem unerklärlichen Blutrausch befand.
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