Das schrille Läuten des Telefons riss mich aus meiner Betrachtung eines äußerst interessanten Hochglanzmagazins, das ich frustriert auf die Tischplatte knallte. Verdammt, gerade hatte sich Miss November in meine Gedanken kopiert, da musste auch schon der nächste Auftrag ins Haus flattern.
Nicht, dass ich viel zu tun gehabt hätte. Seit geraumer Zeit war ich nicht mehr der einzige Monsterbeseitiger im Rheinland. Seit sich die Notwendigkeit einer derartigen Dienstleistung herumgesprochen hatte, wilderten Dutzende von Neulingen in meinem Revier. Jeder eröffnete ein kleine Firma und spuckte mir gehörig in die Suppe. Wenn ich nebenher nicht als Pizzafahrer arbeiten würde, mein Vermieter hätte mich längst vor die Tür gesetzt.
„Claudius Keller-Maus“, bellte ich entnervt in den Hörer. „Zertifizierter Dämonenjäger und dreihundertfacher Weltenretter. Was kann ich für Sie tun?“
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Vielleicht hatte mein etwas rüder Ton dem Anrufer die Sprache verschlagen. Also hakte ich wesentlicher freundlicher nach: „Hallo? Sie können mir alles sagen, ich glaube jedes Wort. Nur Mut.“
Nichts.
„Soll ich einen Geist verjagen, ein Werwolfrudel aufmischen? Wenn Sie den Besten suchen, haben Sie ihn gefunden. Also ...“
Endlich drang eine zischende Grabesstimme aus der Hörmuschel in mein Ohr.
„Ich werrrde die Welt verrrnichten und niemand kann mich aufhalten!“
Die Stimme kannte ich. Belphegor, ein abscheulich aufdringlicher Dämon, der erst vor einem halben Jahr durch meine Hand niedergestreckt worden war, hatte sich also wieder aus der Hölle befreit und spielte den großen Rächer der Finsternis.
Sämtliche Ungeheuer blieben tot, wenn sie besiegt wurden, aber Dämonen schafften es nicht, in Frieden zu verrotten. Immer wieder manifestierten sie sich und stahlen meine Zeit. Zum Glück lernten sie aus den früheren Begegnungen mit mir und machten sich gegen verschiedene Angriffe unverwundbar. So kam zumindest keine Langeweile auf.
„Wann soll denn die Apokalypse stattfinden?“, fragte ich und kramte unter den Aktenbergen nach meinem Terminplaner.
„Morrrgen, dachte ich mirrr.“
„Also, das passt mir gar nicht. Diese Woche ist schon ziemlich voll. Wie wär's mit dem Dreiundzwanzigsten, nächsten Donnerstag.“
„Oh“, kam es enttäuscht aus dem Hörer. „Dasss issst aberrr unangenehm. Geht'sss nicht am Montag?“
„Sorry, Zahnarzttermin. Da bin ich den ganzen Tag neben der Spur. Spritzen, Bohrer und so. Haut mich immer wieder aus den Latschen.“
„Alssso gut. Donnerrrssstag. Berrrlin, um Mitterrrnacht. Dann wirrrd sich dein Schicksssal errrfüllen, Dämonenjägerrr.“
„Alles klar, wir sehen uns dann nächste Woche am Donnerstag. Und bitte: keine Armee von Zombies dieses Mal. Die Altstadt von München stinkt noch immer erbärmlich.“
Belphegor schnaubte und verschwand wieder aus der Leitung. Früher waren einem Dämonen noch im Traum erschienen oder hatten sich vor einem im ungünstigsten Augenblick manifestiert - zum Beispiel im Badezimmer, während man dringende Geschäfte zu verrichten hatte. Heute besaß die gesamte Höllenbelegschaft Handy's und vermutlich hatten sie alle meine Nummer an erster Stelle gespeichert.
Die Erzdämonen tauchten nicht übermäßig oft auf. Zum Glück, denn für einen Kampf mit denen gab es im Höchstfall das Bundesverdienstkreuz und einen Schulterklopfer vom Kanzler, aber kein Geld. Den Weltuntergang zu verhindern war alles andere als lukrativ.
Natürlich war die Sache mit dem überfüllten Terminkalender erstunken und erlogen. Ich hatte ganz einfach keine Lust, mich wieder mit Belphegor zu messen, bevor kein anderer Auftrag in Sichtweite war. Mein Bankkonto schrie regelrecht danach, aus allen Nähten zu platzen.
Zu meinem eigenen Bedauern verbrachte ich den Rest des Tages in dem kleinen, stickigen Büro, das zugleich als Wohnzimmer herhalten musste und wartete vergebens auf einen weiteren Anruf. Gegen Mitternacht gab ich es schließlich auf. Ein weiterer Tag, an dem man meine Hilfe nicht in Anspruch nahm. Dabei half ich gerne. Ich liebte es, den waschechten Ungeheuern dieser Welt kräftig in die haarigen Hintern zu treten.
So beschloss ich, ein wenig an der Matratze zu horchen, bevor mich ein weiterer sinnloser Tag begrüßte. Miese Großstadtdetektive mochten meine Situation verstehen. Doch im Gegensatz zu denen verstand ich mein Handwerk. Allein die übermäßige Konkurrenz trug die Schuld an dieser beschissenen Lage.
Kaum reckten sich meine Glieder unter der Bettdecke, auf der Spiderman in Heldenpose abgebildet war, da schrillte erneut das Telefon.
„Verdammt! Welcher Vollidiot ruft den mitten in der Nacht an?“
Meine gallige Stimme verwandelte sich in einen netten und fröhlichen Singsang, sobald ich mich meldete. Wenn es ein Kunde war, durfte er keinesfalls verschreckt werden. Leute, die von Bestien heimgesucht wurden, waren überaus empfindlich. Man musste sie behandeln wie kostbares Porzellan.
„Herr Keller-Maus? Claudius Keller-Maus, der Dämonenjäger?“
„Sie sind mit dem Richtigen verbunden, Herr ...“
„Von Liechen“, antwortete der Anrufer auf meine angedeutete Frage. „Herzog von Liechen. Ich brauche Ihre Hilfe.“
Eine Pause folgte und gerade als ich selbst wieder das Wort ergreifen wollte, fuhr der Herzog fort: „Dringend. Noch in dieser Nacht.“
Das ist mal wieder typisch, dachte ich mir. Zuerst scheint man mich vergessen zu haben und dann verlangt man, dass ich mir die Nächte um die Ohren schlage, ohne mich richtig auf einen Auftrag vorbereiten zu können. Aber was sollte ich tun? Meine Bank saß mir gemeinsam mit dem Vermieter im Nacken, die Rechnungen häuften sich zu Bergen, die selbst einen Reinhold Messner vor unüberwindbare Probleme stellten.
„Sagen Sie mir bitte, worum es sich handelt. Manchmal sieht die Sache schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit ist.“
Ein letzter Versuch, doch noch etwas Schlaf zu bekommen. Ganz gleich, welches Übel diesen Mann heimsuchte, es wäre sicherlich auch noch nach Sonnenaufgang da. In unmittelbarer Gefahr befand er sich nicht. In seiner Stimme lag Sorge und Trauer, aber keine Spur von Panik.
„Ich benötige Ihre Dienste sofort, Herr Keller-Maus. Meine geliebte Frau wird die Nacht nicht überstehen. ER wird sie vernichten.“
Gut, es bestand kein Zweifel daran, dass es sich um eine ernsthafte Angelegenheit handelte. In meinem Beruf entwickelt man mit der Zeit eine gewisse Sensibilität. Ein inneres Gefühl, das einem sagt, ob es sich um eine Überreaktion des Betroffenen handelt oder um eine wirkliche Notlage, die sofortiges Handeln unerlässlich macht. Im Fall von Herzog von Liechen riet mir mein Magen eindeutig zu einem raschen Einschreiten.
Ich ließ mir den Weg zum herzöglichen Anwesen beschreiben. Die Fahrt sollte nicht länger als zwanzig Minuten dauern. Also noch genügend Zeit, um den Notfallkoffer mit frischem Weihwasser und neuen Kreuzen zu füllen. Auch auf meinen Revolver mit den Silberkugeln und den Universal-Dämonenjäger-Dolch wollte ich nicht verzichten. Was auch immer mich erwartete, ich musste gewappnet sein gegen die Schrecken der Nacht.
Wie erwartet waren die Straßen zu später Stunde nur spärlich befahren. So erreichte ich mein Ziel in weniger als einer Viertelstunde, in der Hoffnung, dass mich kein Geschwindigkeitsmesser erfasst hatte.
Die Villa erhob sich dunkel und bedrohlich auf einem kleinen Hügel. Rings herum standen einige Bäume, die auch schon bessere Zeiten erlebt hatten. Ich erinnerte mich, schon einige Male an dem Anwesen vorbeigefahren zu sein, doch war es mir nie wirklich aufgefallen. Nun bot sich mir das Bild eines alten, vom Zerfall gezeichneten Gemäuers, das geradezu als Brutstätte für Geister prädestiniert war. Hier musste der gute Herzog ja Probleme mit dem Übernatürlichen bekommen.
Wesen der Geisterwelt und Höllenkreaturen bevorzugten Altbauten, das war seit jeher bekannt. Vermutlich reine Nostalgie. Wenn nicht, hatten sie eben einen grauenvollen Geschmack.
Ohne weiter über den Wahnsinn gut betuchter Hausbesitzer nachzudenken, lenkte ich den schwarzen Rover elegant durch die riesige Toröffnung und hielt nur wenige Meter von der Eingangstür entfernt an. Sofort erschien auf der Veranda ein Mann mit grau meliertem Haar, gekleidet in einen offensichtlich kostspieligen Smoking. So waren sie, die Reichen unserer Welt. Wenn sie nach einem harten Arbeitstag auf dem Golfplatz in ihrer bescheidenes Heim zurückkehrten, legten sie ihre Krawatte ab und schlüpften in die sportlichere, legere Fliege.
„Herr Keller-Maus, nehme ich an. Ich bin Herzog von Liechen. Treten Sie ein, wir haben nicht mehr viel Zeit.“
„Bitte, nennen Sie mich Claudius“ bat ich eindringlich und ergriff seine Hand. Sofort liefen hundert eisige Koboldfüße über den Rücken, denn was ich da schüttelte war kalt und auf seltsame Weise leblos. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder der Herzog rauchte eindeutig zuviel oder er war bereits tot.
„Herr Keller ...“
„Claudius, ich bitte Sie. Sie werden verstehen, dass es mir bereits peinlich genug ist, diesen Nachnamen tragen zu müssen. Ich muss ihn nicht auch noch ständig hören.“
Der Herzog drehte sich kurz um und lächelte verständnisvoll. Trotz der guten Haltung, die er mir präsentierte, erkannte ich Schmerz in seinen blutunterlaufenen Augen. Diesen Mann quälte die Furcht um das Leben seiner Frau. Darin bestand kein Zweifel. Nun, jetzt hatte er ja den besten aller Dämonenjäger engagiert und solange es sich um eine Kreatur aus der Schattenwelt handelte, sollte die Rettung seiner Angetrauten kein Problem darstellen.
Er führte mich durch lange, düstere Gänge, eine breite Treppe hinauf und schließlich ging es über einen weiteren Flur zum Ort des Grauens: Das Schlafzimmer. Mein Instinkt gab keine Ruhe, sagte mir immer wieder, dass etwas nicht stimmte. Ich spürte die Anwesenheit des Bösen, aber sie ging nicht von diesem einen Raum aus, den ich gleich betreten sollte. Nein, die Wände, der Boden, das gesamte Gebäude war durchdrungen mit höllischer Energie.
Bevor Herzog von Liechen die Tür zum Schlafzimmer öffnete, drehte er sich noch einmal zu mir um: „Ich muss Ihnen noch etwas gestehen, bevor Sie mit der Arbeit beginnen können. Meine Frau ist besessen, doch Sie dürfen dies nicht mit anderen Austreibungen vergleichen.“
„Schon klar, schwarze Messe, nur so zum Spaß und dann ist plötzlich die Kacke am dampfen. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie glauben gar nicht, wie oft ...“
„Nein, das ist es nicht“, fiel er mir ins Wort. „Ich ... Wir ... Meine Frau und ich sind nicht ... menschlich.“
Mit äußerst aufmerksamen Gesichtsausdruck lauschte ich, gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, er solle fortfahren.
„Wir sind Vampire.“
„Vampire?“, zischte es aus meinem Mund. „Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit. Ein Vampir bittet mich, MICH um Hilfe. Haben Sie denn den Verstand verloren? Biester wie euch pfähle ich im Dutzend noch vor dem Frühstück! Wie kommen Sie darauf, dass ich einen Vampir rette? Ich sollte Ihnen den Garaus machen und Ihrer Frau die Vorhänge öffnen, damit die Sonne sie küssen kann.“
Herzog von Liechen blieb ruhig. Er hatte wohl mit einer heftigen Reaktion nach seinem Outing gerechnet.
„Fünfzigtausend“, war seine Antwort.
„Was bilden Sie sich ein? Glauben Sie, ich sei bestechlich? Berufsehre, sage ich da nur.“
„Hunderttausend.“
„Nein, Sie können mich nicht überzeugen. Das wäre ja Blutgeld.“
„Hundertfünfzig, mein letztes Wort. Nehmen Sie an oder töten Sie mich - umsonst, versteht sich. Ich möchte ja nicht Ihrer Berufsehre im Weg stehen.“
Das Stichwort. Moralische gefestigt zu sein gehörte sicherlich zu den wichtigsten Tugenden eines Dämonenjägers. Aber Moral ernährte mich nicht, bezahlte keine Miete und finanzierte mir auf gar keinen Fall die monatlichen Hochglanzmagazine mit all den leicht bekleideten Traumfrauen. Nicht zu vergessen die Berichte über Sport und Technik, der Hautgrund für mich, solche Hefte zu kaufen - versteht sich von selbst.
„Abgemacht, aber ich tue es nicht des Geldes wegen. Mich interessiert allein, welcher Teufel dämlich genug ist, in den Körper einer Untoten zu fahren.“
Von Liechen öffnete wortlos die Tür und trat in die Höhle des Löwen. Ich folgte ihm in gebührendem Abstand. Man konnte den Blutsaugern nicht über den Weg trauen. Ehe man es sich versah, zückten sie Fänge und Krallen. Ihre nette Art war nicht mehr als der hypnotisierende Blick einer Schlange. Vampire waren allesamt vom gleichen Schlag. Hinterhältige Mistviehcher.
Da stand ich nun in dem äußerst altmodisch, doch geschmackvoll eingerichteten Schlafzimmer und betrachtete die auf dem Bett liegende Schönheit. Wie bei Blutsaugern üblich hatte auch ihre Haut diese ebenmäßige Blässe, ohne jede Spur von Falten oder gar Altersflecken. Die wohl schönsten Wesen der Welt und alles nur Fassade.
Ihr schwarzes Haar lag auf dem goldfarbenen Kissen ausgebreitet, wirkte struppig und nass. Ein Anblick, den man nicht alle Tage zu Gesicht bekam. Wirklich gesund sahen diese Nachtkriecher nie aus, aber der Frau merkte man an, dass etwas nicht in Ordnung sein konnte - abgesehen davon, dass sie tot war.
Erstaunlich, dachte ich. Vampire können also doch schwitzen.